BGH: Vorlage an den EuGH zur Insolvenzanfechtung von Gesellschafterdarlehen

In einem richtungsweisenden Verfahren hat der Bundesgerichtshof (BGH) dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mit Beschluss vom 16.1.2025 (IX ZR 229/23) mehrere Fragen zur Auslegung der europäischen Insolvenzverordnung (EuInsVO a.F.) vorgelegt. Insbesondere geht es um die Frage, ob und inwieweit die Rückforderungsansprüche des Insolvenzverwalters – zur Durchsetzung des im deutschen Insolvenzrecht verankerten Nachrangs von Gesellschafterdarlehen – durch eine vertraglich vereinbarte Rechtswahl (in diesem Fall österreichisches Recht) geschützt werden können.

Sachverhalt

Die Klägerin ist ein österreichisches Maschinenbauunternehmen in der Rechtsform einer GmbH (österreichisches Recht), während die Schuldnerin eine deutsche Gesellschaft ist. Beide Unternehmen gehören zur gleichen Unternehmensgruppe, wobei die österreichische Gesellschaft auch direkt und mittelbar als Gesellschafterin der Schuldnerin auftritt.

Mit einem Darlehensvertrag vom 19.05.2015 (3 Mio. €) und einem zweiten Vertrag vom 16.06.2015 (2 Mio. €) wurde der Schuldnerin ein Gesellschafterdarlehen gewährt. Beide Verträge enthalten eine Klausel, wonach österreichisches Recht Vorrang haben soll.

Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die Schuldnerin kam es zu Tilgungs- und Zinszahlungen, u.a. 500.000 € am 10.03.2016 sowie weitere Zinsleistungen, die aus Sicht des Insolvenzverwalters zu einer Benachteiligung der übrigen Gläubiger führten. Für das zweite Darlehen zahlte sie Zinsen von etwa 100.000 € für 2015. Die Klägerin meldete Forderungen von etwa 2,5 Mio. € und 2 Mio. € zur Insolvenztabelle an und beanspruchte ein Absonderungsrecht aus den abgetretenen Ansprüchen.

Der Insolvenzverwalter macht Rückzahlungsansprüche geltend – gestützt auf § 135 InsO in Verbindung mit den Regelungen zum Nachrang von Gesellschafterdarlehen (§ 39 InsO). Die Klägerin versucht, sich durch Berufung auf die Rechtswahl (österreichisches Recht) gegen diese Anfechtung zu wehren.

Das LG Schwerin (Urteil vom 20.10.2020 - 5 O 20/17) und das OLG Rostock (Urteil vom 06.12.2023 - 6 U 7/21) wiesen die Klage ab und gaben der Widerklage statt. Die Klägerin legte Revision ein, woraufhin der BGH das Verfahren aussetzte und dem EuGH Fragen zur Vorabentscheidung vorlegte.

Entscheidungsgründe

Der BGH betont, dass auf das in Rede stehende Insolvenzverfahren grundsätzlich deutsches Insolvenzrecht anzuwenden ist. Das Verfahren erfolgt nach der lex fori concursus; dadurch sind auch die nationalen Regelungen zum Nachrang von Gesellschafterdarlehen maßgeblich.

Die Vorschriften des § 39 InsO in Verbindung mit § 135 InsO sollen verhindern, dass Gesellschafter durch eine vertraglich vereinbarte Rechtswahl (hier österreichisches Recht) die zwingenden insolvenzrechtlichen Regelungen zum Schutz der Gläubigergesamtheit umgehen. Der BGH vertritt daher die Auffassung, dass die Rechtshandlungen, die zur Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen führen, auch dann anfechtbar bleiben, wenn im Vertrag österreichisches Recht vereinbart wurde.

Angesichts der Komplexität, insbesondere der Frage, ob Art. 13 EuInsVO a.F. auch bei Rückforderungsansprüchen zur Durchsetzung eines gesetzlich festgelegten Nachrangs Anwendung findet, hat der BGH das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH vier Auslegungsfragen vorgelegt. Dabei soll geklärt werden, ob:

  1. Die benachteiligende Handlung – auch wenn sie zur Durchsetzung des Nachrangs dient – unter Art. 13 EuInsVO a.F. fällt.
  2. Die Anfechtungstatbestände auch auf Darlehen zutreffen, die im Vorfeld der Insolvenz zur Kapitalausstattung genutzt wurden.
  3. Das anwendbare Recht im Fall von Gesellschafterdarlehen maßgeblich nach dem Gesellschaftsstatut zu bestimmen ist.
  4. Art. 9 Rom-I-VO in Verbindung mit den nationalen Eingriffsnormen – so wie sie in den insolvenzrechtlichen Regelungen enthalten sind – anzuwenden ist.

Fazit

Eine negative Entscheidung des EuGH (d.h. wenn der EuGH der Auffassung folgt, dass die ausländische Rechtswahl den Rückforderungsanspruch wirksam ausschließen würde) hätte weitreichende nationale Konsequenzen und könnte das deutsche Rechtssystem im Bereich der Gesellschafterdarlehen grundlegend verändern.

Dieser Fall zeigt exemplarisch, wie internationale Rechtswahlklauseln und zwingende nationale Insolvenzregelungen aufeinanderprallen können. Die anstehende EuGH-Entscheidung wird mit Spannung erwartet, da sie nicht nur den aktuellen Sachverhalt, sondern auch das gesamte Gesellschafterdarlehensrecht in Deutschland betreffen könnte.

 

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